Internet-Zensur in NRW

Nordrhein-Westfalens Regierung sperrt den Zugriff auf Webseiten

Chronologie der Ereignisse

Einige Internet-Provider in NRW kommen der Bezirksregierung entgegen, die in einer Anhörung am 13. November eine providerseitige Sperrung von vier amerikanischen Webseiten verlangt. Dem Chaos Computer Club liegt die im Oktober verschickte Einladung an die Provider vor, die die Begründung der Bezirksregierung enthält.

Der erste Versuch einer Sperrung der Seiten ist beim Düsseldorfer Citycarrier ISIS Multimedia Net aufgefallen. Ein Mitarbeiter hat die IP der benannten Seiten im Nameserver geändert und auf ein Formular der Bezirksregierung Düsseldorf geleitet, in das man weitere Seiten als Vorschlag zur Sperrung eintragen kann. Weitere Provider, unter anderem Ahrens (Lüdinghausen/Münsterland), versatel (Dortmund) und Vision Consulting (Köln), folgten ISIS und lassen ihre Nameserver auf andere Seiten als die aufgerufene zeigen.

Ausgehend von der Pressemitteilung des Chaos Realitäts Dienstes, benannte das Online-Magazin telepolis diese Art von "Sperrung" als "Netzsperre für Fritzchen Doof", die durch eine einfache Änderung des Nameservers wieder aufgehoben wird. Für Betroffene bieten wir Anleitungen für diverse Betriebssysteme, wie man den Nameserver ändert.

Nach dem Bekanntwerden in den Medien schaltete ISIS die Umleitung wieder aus, um sie kurz daraus wieder einzuschalten. Nach einer Pressemeldung der ISIS sind sie vom Regierungspräsidenten Jürgen Büssow in die Enge getrieben worden, was in der Pressemitteilung der Bezirksregierung deutlich wird. In einer weiteren Pressemitteilung betont die Bezirksregierung erstmals, dass es sich nicht nur um (neo-)nationalsozialistische Inhalte handelt. Aber Regierungspräsident Büssow erwidert "Es mögen viele E-Mail-Versender darunter sein, die aus Prinzip die Freiheit des Internets verteidigen wollen. Am Inhalt vieler anderer Internet-Botschaften ist aber eindeutig zu erkennen, sowohl an der Diktion als auch am Inhalt, dass es sich um Träger rechtsextremistischen Gedankenguts handelt." * und er macht deutlich, dass "in den Fällen, in denen meine Mitarbeiter direkt und mit Gewalt bedroht werden, werde ich die Staatsanwaltschaft einschalten." *

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss weist in seinem Artikel "Täter müssen verfolgt werden, nicht das Internet" darauf hin, dass es viel wichtiger sei, "junge Menschen in die Lage zu versetzen, kompetent und verantwortungsbewusst mit diesen neuen Medien umzugehen" und er stellt die Frage "Wer legt denn fest, welches Angebot wirklich umgeleitet werden soll - und zudem wohin?". Es ist wünschenswert, dass sich auch die Politiker in NRW diese Fragen stellen würden.

Es ist nicht zum ersten Mal geschehen, dass Internet-Seiten in die Kritik des Düsseldorfer Regierungspräsidenten Büssow gelangen. Im Sommer 2000 drohte er Providern mit Geldbußen von bis zu 500.000 Mark, wie der Heise News-Ticker berichtete. Nach Angaben dieses Artikels wurden damals direkt Internet-Seiten gelöscht, anstatt sie "nur" zu Filtern.

Am 7. Dezember 2001 veröffentlichte die Bezirksregierung Düsseldorf eine weitere Pressemitteilung unter dem Titel "Eine Zensur findet nicht statt" (in Ahnlehnung an unsere Pressemitteilung vom 21. November). In dieser weist Regierungspräsident Büssow die Vorwürfe "der letzten Woche von den Magazinen Focus und Spiegel, dem Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss, dem Chaos Computer Club, aber auch von Jörg Schieb (WDR)" * ab. Sein Hauptargument liegt weiterhin darin, dass eine politische Lösung des Problems nicht möglich sei und daher "auch die Zugangs-Anbieter - wie es das Gesetz vorsieht - in der Verantwortung" * sind. "Dass durch eine Sperrung bei den Access-Providern lediglich eine Behinderung oder Erschwerung des Zugangs bewirkt wird und technisch versierte Nutzer diese Erschwerung umgehen können, ist mir sehr wohl bewußt" *, heisst es weiter. Er bestätigt somit den Versuch einer Zensur - und nur wer nicht mit dem Internet umgehen kann, wird in den "Genuß" dieser kommen.

Im Heise Newsticker wird zur aktuellen Lage aus der Sicht der Provider der Nagel auf den Kopf getroffen: "Folgen sie der Aufforderung, würden Zensurvorwürfe erhoben. Unterlassen sie die Sperrung, gerieten sie in den Verdacht der Förderung rechtsextremen Gedankengutes. Summa [Anm: Harald A. Summa vom eco Forum] fordert die betroffenen Provider auf, sich dem Ansinnen Büssows zu widersetzen." *

Mitte Dezember ist es nunmehr von zehn Provider und den Hochschulen RWTH Aachen und Uni Siegen bekannt, in ihren Nameservern die Einträge der vier umstrittenen Seiten geändert zu haben. "Wie die TH-Sprecher mitteilen, sei dieser vorläufige Test jedoch eher dazu geeignet, eine versehentliche Verbindung zu diesen Inhalten zu unterbinden, als erfahrene Nutzer wirklich von den Angeboten abzuschotten." *, so die Begründung von Seiten der Hochschule.

Aus juristischer Sicht ist diese Art der Sperrung mehr als fraglich und "Sollte es tatsächlich zu gerichtlichen Auseinandersetzungen kommen, wird das letzte Wort dem Bundesverwaltungsgericht vorbehalten sein." *, ist auf den Seiten einer Düsseldorfer Kanzlei zu lesen.

Am 19. Dezember veranstaltete die Bezirksregierung einen Chat, um Bereitschaft zum Reden zu zeigen. Jedoch erschien schon wenige Minuten nach Beendigung eine Pressemitteilung des Arbeitskreises in der Bezirksregierung zu diesem Thema. In einer Pilotphase bis zum 30. April 2002 wird eine technische Möglichkeit entwickelt, die Inhalte der Seiten zu filtern. An diesem Projekt sind die Uni-Dortmund mit den Firmen INTRANET GmbH, Webwasher und BOCATEL beteiligt. Bis dahin sollen die Seiten weiterhin mittels der DNS-Umleitung "gesperrt" bleiben. Außerdem stellt Büssow seine Wünsche für die Zukunft dar: "Ich kann mir im Sinne eines aktiven Verbraucherschutzes vorstellen, dass eine Positiv-Liste veröffentlicht wird von Providern, die in der Lage sind, die strafbaren Inhalte zu beseitigen." *. Ein lohnende Anschaffung, denn somit gäbe es einen Überblick, wer denn noch ein sauberes Netz anbietet!

Am 21. Januar 2002 verfasste Alvar Freude eine "Strafanzeige gegen zu ermittelnde Mitarbeiter von Internet-Providern und der Bezirksregierung Düsseldorf" (PDF-Dokument). Alvar Freude hat zusammen mit Dragan Espenschied in ihrer Diplomarbeit insert_coin im vergangenen Jahr gezeigt, "dass Manipulation von Internet-Inhalten sehr einfach und effizient funktionieren kann." * Die Gefahr besteht darin, der Gesellschaft im von der Bedeutung wachsenden Medium Internet eine "angepasste Realität" zu präsentieren und dem einzelnen Bürger somit seine Mündigkeit zu entziehen. "Wenn jedoch auf Geheiß der Innenministerums Inhalte gesperrt werden sollen, will die Regierung nicht nur Gesetzgeber sondern auch Ermittler, Ankläger und Richter in einem sein. Das Prinzip der Gewaltenteilung wird aufgebrochen." *, heißt es in der Diplomarbeit zu den verfassungsbedingten Folgen.

Am 6. Februar 2002 erfolgte eine Sperrungsverfügung der Bezirksregierung an über 80 in NRW ansäßige Provider. In dieser erhalten die Provider den Auftrag, "den Zugang zur Nutzung der Internet-Seiten http://www.stormfront.org und http://www.nazi-lauck-nsdapao.com im Rahmen des von Ihnen vermittelnten Nutzungsangebotes zu sperren" *. Somit sind es nur noch zwei Seiten, die gesperrt werden sollen. Beide Seiten beinhalten rein neonazistisches Gedankengut.

Eine Reaktion auf die Sperrverfügung ist die im Februar gestartete Erklärung gegen die Einschränkung der Informationsfreiheit , die eine online-Unterschriftenliste ist. Dieses Projekt ist ein Teil der Initiative Odem, die weitere Informationen zur Informationsfreiheit bietet.

Die von Alvar Freude eingeleitete Strafanzeige wurde von der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft am 7. März eingestellt. Die Begründung lautet auf "fehlenden Tatverdachtes" *, wie einer Pressemitteilung der Bezirksregierung zu entnehmen ist.

Zu der alljährlichen CeBIT veranstaltet der Chaos Computer Club die "CCCeBIT" . Es wird jedesmal eine Firma aufgesucht, die einen Preis für besondere (mißlungene) Projekt erhält. Dieses mal wurden einige der sperrenden Provider stellvertretend für die nicht anwesende Bezirksregierung besucht und ihnen die rote Netzerkkarte überreicht. In einem Manifesto werden die Hintergründe erläutert.

Die nächste Aktion war eine Demonstration gegen die Netzzensur am 6. April 2002 in Düsseldorf. Die erste Demonstration in der über 20jährigen Geschichte des Chaos Computer Clubs ist auf den Seiten http://www.netzzensur.de/ ausführlich dokumentiert. Selbst der Regierungspräsident Büssow ließ es sich nicht nehmen und erschien persönlich. Somit konnte er die für ihn "reservierte" rote Netzwerkkarte in Empfang nehmen. Die Übergabe der Unterschriftenliste gegen die Einschränkung der Informationsfreiheit wurde im letzten Moment unterbunden, da diese Aktion weiterhin läuft. Stattdessen erhielt Herr Büssow ein paar Mickey-Mouse-Hefte -- das Ergebnis eines zensierten Internets.

Am 30. April war ursprünglich das Ende der Testphase zum von der Bezirksregierung in Auftrag gegebenen Projekts Filterpilot. Es wird von einem Abbruch des Projekts und des Zensurversuchs der Bezirksregierung ausgegangen. Weitere Einzelheiten erläutert unsere Pressemitteilung "NRW-Zensurinfrastruktur vor dem Aus".

Gegen die am 6. Februar erlassene Sperrverügung legte etwa die Hälfte der Provider schriftlichen Widerspruch bei der Bezirksregierung ein. Dieser wrude am 23. Juli 2002 von der Bezirksregierung zurückgewiesen.

Dabei nutzt die Bezirksregierung die Lücke im Mediendienstestaatsvertrag aus, dass wenn sowohl an den Content-Provider (der Ersteller der Seiten) als auch Service-Provider (der die Webseiten anbietet) nicht herangetreten werden kann, der Access-Provider (der den Zugang zu den Seiten bereitstellt) der Sperrung nachkommen muss. Der Einwand der Access-Provider, dass vergleichsweise die Post oder Telefonieanbieter auch nicht wissen, ob deren Briefe oder Telefonate für rechtswidrige Inhalte verwenden werden, wies Büssow mit dem Hinweis ab, "dass Webseiten kein Brief- bzw. Telekommunikationsgeheimnis nach Art. 10 Abs. 1 GG für sich beanspruchen können und keine Individualkommunikation dar-stellen. Die Informations-Inhalte von Web-Sites sind also, anders als beim Brief oder Tele-fongespräch, für jedermann zugänglich." * Um ein Einsehen des Inhalts während der Übertragung zu vermeiden, empfehlen wir, soweit es vom Service-Provider angeboten wird, Webseiten mittels https verschlüsselt abzurufen.

Die von der Bezirksregierung bevorzugte Sperrmethode ist die DNS-Sperrung, die letztes Jahr den Stein ins Rollen brachte, und auch die einzige seit der Pleite von Filterpilot ist. Dazu wird im Nameserver des Providers die Webadresse der Seite herausgenommen oder auf eine andere Seite umgeleitet. Diese Sperrung ist sehr einfach zu umgehen; wir bieten die entsprechende Anleitung zur Konfiguration der DNS-Einstellung. Die Bezirksregierung geht jedoch davon aus, dass ein Großteil der Nutzer sich nicht mit der Änderung der DNS-IP auskennt. Dieses räumte Regierunspräsident Büssow im aktuellen Ablehnungsschreiben und während der Demo im April durchaus ein (in Wort und Bild unter http://www.netzzensur.de/videos/ nachzusehen).

Büssow betont in seinem Schreiben, dass diese zwei Webseiten eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle und nun die Ordnungsbehörden Maßnahmen zur Abwehr treffen werden. Wenn man sich mal ein wenig weiter im Web umsieht, findet man sehr viele Seiten, die durchaus stärker besagte Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sind.

Die Bezirksregierung weist in ihrer Rechtsbehelfsbelehrung darauf hin, dass nun Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen den Widerspruchbescheid eingelegt werden kann. Während Gesprächen auf der Demo im April war schon zu vernehmen, dass die Bezirksregierung es auf einen Musterprozess absieht, da die Lage derzeit uneinschätzbar ist.

Eine Sperrung von Webseiten bringt nichts. Diejenigen, die die Sperrung betreffen soll, wissen wie man um sie herum kommt. Das rechtsradikale Gedankengut wird weiterhin verbreitet. Ein Kampf gegen dieses an der Wurzel, also warum überhaupt dieses Gedankengut existiert und wie man Abhilfe schaffen kann, ist um einiges effektiver. Aber dafür müsste sich die Bezirksregierung (oder deren "Exekutive") direkt mit diesem Personenkreis auseinander setzen...

Weitere Meldungen zu dem Thema sind dem Heise-Ticker ( [1], [2], [3], [4], [5], [6], [7], [8], [9], [10]), [11]), dem Online-Magazin telepolis ( [1], [2], [3], [4], [5], [6], [7], [8], [9], [10], [11]) den Online Seiten zum Magazin Der Spiegel ( [1] kostet mittlerweile 40¢) und dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) ( [1], [2], [3], [4]) zu entnehmen. Kommentare gibt es in den Heise-Newsforen, im Forum Medienaufsicht der Bezirksregierung NRW oder in der Newsgroup de.org.ccc.

by ccc-duesseldorf 2003-05-26 (rev)
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